Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung in seinem Urteil vom 25.01.2011, Az. 1 BvR 918/10 zu den „wandelbaren Lebensverhältnissen“ bezüglich der Feststellung des nachehelichen Unterhaltsbedarfs gefällt. Das Maß nachehelich zu gewährenden Unterhalts war in der Vergangenheit wiederholt gesetzlich änderungen unterworfen. Mit dem am 01. Januar 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur änderung des Unterhaltsrechts vom 21. Dezember 2007 (BGBI I S. 3189) hat der Gesetzgeber das Unterhaltsrecht erneut reformiert und an die geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse sowie den eingetretenen Wertewandel angepasst.

Im Geschiedenenunterhalt gilt seitdem der Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung jedes Ehegatten verstärkt. § 1569 BGB lautet nun:

  • Nach der Scheidung obliegt es jedem Ehegatten, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Ist er dazu außerstande, hat er gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Unterhalt nur nach den folgenden Vorschriften.
  • § 1578 BGB, der das Maß des zu gewährenden Unterhalts vorgibt, ist unverändert geblieben und hat nach wie vor folgenden Wortlaut: Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf

Nach § 1609 BGB ist die Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter neu festgelegt worden. Danach gehen nunmehr die Kinder den Elternteilen vor. Ziel der Reform ist neben der Vereinfachung des Unterhaltsrechts insbesondere die Stärkung des Kindeswohls sowie die wirtschaftliche Entlastung sogenannter Zweitfamilien gewesen. Ergibt sich ein Mangelfall, so soll die Stärkung des Kindeswohls der Einräumung des ersten Ranges der Unterhaltsansprüche Minderjähriger vor sämtlichen Unterhaltsansprüchen anderer Unterhaltsberechtigter sowie die Einräumung des zweiten Ranges der Unterhaltsansprüche Kinder betreuender Elternteile dienen.

Dem ergangenen Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beschwerdeführerin war von 1978 bis 2002 mit dem Kläger des Ausgangverfahrens verheiratet. Dieser wurde im Zuge der Scheidung verurteilt, der Beschwerdeführerin nachehelichen Aufstockungsunterhalt in Höhe von 618,00 € monatlich zu zahlen. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist seit Juni 2008 wieder verheiratet.

Im Ausgangsverfahren änderte das Amtsgericht mit Urteil vom 25. Juni 2009 die Unterhaltsverpflichtung des Klägers dahin ab, dass er der Beschwerdeführerin nur noch Unterhalt in Höhe von 488,00 € im Monat zahlen müsse. Dabei bestimmte das Amtsgericht das Maß des der Beschwerdeführerin zu gewährenden Unterhalts entsprechend der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach der Dreiteilungsmethode. Dabei berücksichtigte das Gericht Synergieeffekte auf Seiten des Klägers und seiner neuen Ehefrau gemeinsamen Wirtschaftens.

Gegen dieses Urteil legte die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde ein, welche begründet ist. Die angegriffene Entscheidung schränkt die Beschwerdeführerin in verfassungswidriger Weise in ihrer von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit ein.

Das nacheheliche Unterhaltsrecht und insbesondere die verfahrensgegenständliche Bestimmung des Maßes nachehelich zu gewährenden Unterhalts bedarf einer rechtlichen Ausgestaltung, bei der die Handlungsfreiheit sowohl des Unterhaltsberechtigten wie auch des Unterhaltsverpflichteten unter Berücksichtigung des Schutzes aus Art. 6 Abs. 1 GG in Ausgleich zu bringen ist. Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG schützt als wertentscheidende Grundsatznorm die Ehe als Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner, in der die Ehegatten ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen und bei der die Leistungen, die sie im Rahmen der von ihnen in gemeinsamer Entscheidung getroffenen Arbeits- und Aufgabenzuweisung jeweils erbringen, als gleichwertig anzusehen sind. Die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs nach § 1578 Abs. 1. Satz 1 BGB stellt nach diesem normativen Konzept den Ausgangspunkt der Unterhaltsberechnung dar, an dessen Ermittlung sich die Prüfung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen sowie der Verteilung verfügbarer Geldmittel der Pflichtigen im Mangelfall anschließt. Mit der Ausrichtung des Unterhaltsmaßes an den „ehelichen Lebensverhältnissen“ hat der Gesetzgeber auf die individuellen Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten Bezug genommen, die er zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung bestimmt wissen will.

An dieser Strukturierung des nachehelichen Unterhaltsrechts hat der Gesetzgeber anlässlich der Unterhaltsrechtsreform von 2007 festgehalten. Nach wie vor differenziert er bei der Prüfung der Gewährung nachehelichen Unterhalts zwischen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten, dessen Unterhaltsbedarf nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB, der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen nach § 1581 BGB sowie der Rangfolge im Mangelfall.

In Reaktion auf die geänderte gesellschaftliche Situation, insbesondere die steigenden Scheidungszahlen sowie die vermehrte Gründung sogenannter Zweitfamilien einerseits und die geänderte Rollenverteilung in der Ehe sowie die verbesserte Ausbildungs- und Arbeitssituation der Frauen andererseits (BT Drucks 16/1830, S. 13) hat der Gesetzgeber den Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung nach der Scheidung in § 1569 BGB verstärkt. Der Gesetzgeber hat den Vorrang der geschiedenen Ehefrau abgebaut und den Vorrang der Kinder hervorgehoben.

Die ehelichen Lebensverhältnisse der geschiedenen Ehe im Sinne des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB werden mit diesem neuen Maßstab, der unter Anwendung der Dreiteilungsmethode zur Berechnung des Unterhaltsbedarfs herangezogen wird, nicht mehr wiedergespiegelt. Vielmehr löst sie sich in Gänze von der gesetzlichen Vorgabe ab. Durch die Dreiteilungsmethode wird der Bedarf des Unterhaltsberechtigten gekürzt, weil der Unterhaltsverpflichtete wieder geheiratet hat.

Die Rechtsprechung zu den „wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen“ unter Anwendung der Dreiteilungsmethode bezieht den Unterhaltsbedarf des nachfolgenden Ehegatten zudem nur solange in die Bestimmung des UnterhaltsbedDie Dreiteilungsmethode setzt sich über den Willen des Gesetzgebers hinweg. Dieser hat zwar zur besseren Berücksichtigung der Interessen von Betroffenen und Zweitfamilien Einschränkungen beim nachehelichen Unterhalt vorgenommen. Die Einschränkungen hat er jedoch wie bei der Kürzung oder Befristung von Unterhaltsansprüchen nach § 1578b BGB von der Dauer und Ausgestaltung der geschiedenen Ehe und nicht vom Umstand einer erneuten Eheschließung des Unterhaltspflichtigen abhängig gemacht, oder sie dann eintreten lassen, wenn der Unterhaltspflichtige in Anbetracht seiner real vorhandenen Mittel nicht in der Lage ist, alle an ihn herangetragenen Unterhaltsansprüche zu befriedigen.

Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit und auf der die Grenze zulässiger Rechtsfortbildung überschreitender Auslegung. Das angegriffene Urteil ist deshalb aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

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Bundesverfassungsgericht 1 BvR 918/10 vom 25.01.2011
Oberlandesgericht Saarland 6 UF 86/09 vom 04.03.2010